Auch in Zeiten von Corona konnten Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen des SBG im Fach Spanisch eine ganz besondere Erfahrung machen: Im Rahmen der Lektüreeinheit über „La memoria de los seres perdidos“ von Jordi Sierra i Fabra wurden die Möglichkeiten der Digitalisierung und des Online-Unterrichts genutzt, um die beiden argentinischen Gäste Irene Munster und Débora Benchoam, beide wohnhaft in den USA, zu Videokonferenzen mit den Zehntklässlern einzuladen. Trotz eigentlich beträchtlicher geographischer Entfernung konnten die beiden Frauen so einfach zum Unterricht hinzustoßen und diesen mit ihren Erfahrungen bereichern.

In der vor den Pfingstferien behandelten Lektüre „La memoria de los seres perdidos“ geht es vor allem um die Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983), die die beiden interviewten Frauen selbst erlebt haben. Gleichzeitig werden Themen wie die Selbstfindung der Hauptfigur Estela und auch der Themenkomplex der Adoption behandelt.

Als erster Gast schaltete sich Irene Munster zu der Spanisch-Videokonferenz hinzu, damit die Schülerinnen und Schüler einen besseren Einblick in das Leben während der argentinischen Militär-Diktatur bekommen konnten.

Irene hatte bereits im vorangegangenen Schuljahr gemeinsam mit ihrem Mann Ricky das SBG besucht und über die Flucht ihrer Eltern aus Nazideutschland berichtet. Während der Militärdiktatur in Argentinien setzte sich Irene zusammen mit ihrem Rabbi Marshall Meyer für die Befreiung von in Militärlagern inhaftierten Juden ein und ermöglichte vielen Verfolgten die Flucht ins Ausland. Sie schilderte ihr Leben zu dieser Zeit sehr eindringlich und beantwortete die vielen Fragen in der Videokonferenz ausführlich. Dabei ging es nicht nur um die Zeit damals, sondern auch um die aktuelle Situation in Argentinien sowie um das Leben in den USA zu Zeiten von Corona – alles Fragestellungen, die für die Zehntklässler sehr interessant waren.
Auch das Online-Interview mit dem zweiten Gast Débora Benchoam war für die Schülerinnen und Schüler eine besondere Begegnung. Débora war während der Militärdiktatur im Alter von nur 15 Jahren gefangen genommen, vergewaltigt und gefoltert worden – man hatte sie zusammen mit ihrem Bruder und ihren Freunden auf die Liste der „Subversiven“ gesetzt, bloß weil sie sich in der SMV ihrer Schule engagiert und in den Armenvierteln von Buenos Aires Kinder betreut hatte. Während ihr Bruder und ihre Freunde nicht überlebten, konnte sie mit Hilfe von Marshall Meyer und anderen gerettet werden und nach vier Jahren Gefangenschaft in die USA ins Exil gehen. Débora hatte auch eine Präsentation über ihr Leben vorbereitet und alle waren tief berührt von ihrem Schicksal. Doch besonders beeindruckte ihre trotz allem positive Art, ihr Lächeln und ihre Zuversicht. Heute engagiert sie sich in einer Menschrechtsorganisation und glaubt an die Möglichkeit von Veränderung.

Beide Frauen appellierten an die Schülerinnen und Schüler, sich zu engagieren und nicht zuzulassen, dass sich die argentinische oder die deutsche Vergangenheit wiederholt. Ein Appell, der in Zeiten, in denen Antisemitismus und Rassismus wieder traurige Aktualität besitzen, in denen Verschwörungstheorien grassieren und immer noch Menschen über die Nazizeit Witze machen oder sogar den Holocaust leugnen, wichtiger ist denn je. So konnten die Schülerinnen und Schüler aus ihrem Online-Unterricht wirklich etwas fürs Leben mitnehmen, wie es auch Sören, der kürzlich in den Bruchsaler Jugendgemeinderat gewählt wurde, zusammenfasste: „Für uns ist Demokratie etwas Normales, dabei ist das Dritte Reich noch gar nicht so lange her. Die Beschäftigung mit der Lektüre hat mir gezeigt, dass es wichtig ist, für Demokratie und Freiheit zu kämpfen und wie wichtig Menschenrechtsorganisationen sind, die sich in Ländern, in denen eine Diktatur oder Krieg herrscht, für Frieden und Stabilität einsetzen. Mir hat das Zeugnis von Irene und Débora gezeigt, dass wir für unsere Demokatie dankbar sein müssen und dass wir die Personen, die unsere Freiheit und Demokratie zerstören wollen, nicht wählen dürfen.“
Auch Céline betonte nach diesem besonderen Spanisch-Unterricht, dass ihnen alle drei Frauenschicksale Mut gemacht hätten: Estela, die Hauptfigur des Romans, wie auch Irene und Débora haben gezeigt, wie wichtig es ist, sich für Menschenrechte einzusetzen und dass aus etwas Schlechtem auch etwas Gutes entstehen kann.

Simone Schönung mit Unterstützung von Sören (10a), Nele (10b), Benjamin und Celine (10c)

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